Von starken Jungs & wilden Kerlen … Suchtpräventive Jungenarbeit in der Schulpraxis
Eines der bekanntesten Zitate des Humoristen Loriot lautet: „Männer und Frauen passen einfach nicht zusammen“. Im Hinblick auf die schulische Suchtprävention würde dies wohl kein Experte unterschreiben wollen, schließlich lässt sich vieles gewinnbringend im koedukativen Austausch behandeln.
Nichts desto trotz können geschlechtsspezifische Angebote eine sinnvolle, wenn nicht gar notwendige Ergänzung sein. Wir wollen hiermit die (vernachlässigten?) Jungen näher in den Blick nehmen.
Geschlechtsspezifische Suchtprävention für Jungen – Wieso, weshalb, warum?
Keine Frage: Die vielfältigen Herausforderungen der Pubertät und des Alltages betreffen Mädchen und Jungen gleichermaßen. Allerdings entwickeln die Geschlechter unterschiedliche Lösungsstrategien zur Bewältigung, die stark von den noch immer allgegenwärtigen Rollenerwartungen mitbestimmt werden.
Da besonders bei der Ausprägung von Suchtverhaltensweisen (als Bewältigungs- bzw. Problemverdrängungsstrategie) das Geschlecht und damit einhergehende Rollenmuster einen wichtigen Beitrag leisten, sollte schulische Suchtprävention die besonderen Lebenslagen und Konfliktsituationen von Mädchen und Jungen aufgreifen. Hierbei gilt als „Königsweg“, neben koedukativen Arbeitsformen auch geschützte geschlechtsspezifische Räume zu schaffen.
„Als Problem erweist sich dabei, dass mittlerweile in den Schulen viele Kolleginnen Mädchenarbeit betreiben, die Anzahl der Kollegen, die sich der Jungenarbeit zuwenden, aber noch sehr klein ist. Jungen brauchen aber realistische Vorbilder. Jungenarbeit muss von Männern geleistet werden“ (Regierungspräsidium Stuttgart 2006, S. 54).
Ziele, Themen & Methoden – Wohin kann die Reise gehen?
Persönlichkeitsstärkende Jungenarbeit stellt nicht die Schwächen der Heranwachsenden, sondern ihre Stärken und Entwicklungspotenziale in den Vordergrund. Dem Prinzip der Freiwilligkeit folgend, erschließt sich dadurch im Optimalfall ein einmaliger Erfahrungsraum für die Vielfalt und Bandbreite des Jungeseins sowie für das Ausprobieren und Reflektieren alternativer Handlungsoptionen. Hauptziel ist, die Jungen darin zu bestärken, dass sie so sein können, wie sie sind oder wie sie es sich wünschen.
Die exklusive „Jungen-Unter-Sich-Atmosphäre“ bzw. das Fehlen der weiblichen Zielgruppe macht es vielen Jugendlichen möglich, ihr Macho- und Angebergehabe samt cooler Sprüche für eine gewisse Zeit abzulegen. Auf einmal kann es deutlich leichter fallen, Erfahrungen und Gefühle offen zu legen und auch „heiße Themen“ offen anzusprechen.
Mögliche Themenfelder können sein:
Körper: Fitness/ Outfit/ Körperstyling, Bewegung und Entspannung, Erlebnis und Risiko, Rausch, Sucht und Gefahr, eigene Körperwahrnehmung, Gesundheit/ Krankheit
Gruppe: Selbst- und Fremdbild, Selbstwert und Selbstinszenierung, soziale Kompetenzen, Freundschaft, Ehre/ Stolz, Diskriminierung
Bildung und Arbeit: Schulerfolg/ -versagen, Arbeit/ Arbeitslosigkeit, Freizeit, Computerspiele/ Medien
Sexualität und Männlichkeit: Männlichkeitsvorstellungen, Frauenbild, sexuelle Orientierungen, persönliche Geschlechtsidentität, Coming-out, Sexualpraktiken, Verhältnis zur eigenen körperlichen Attraktivität, Selbstbefriedigung, sexualisierte körperliche und verbale Gewalt, Umgang mit Pornographie
Liebe und Partnerschaft: Gefühle, Unsicherheiten, Flirten, „Das erste Mal”, Liebeskummer, Trennung, Vaterschaft, Beruf und Familie
Konflikte: Kommunikation, Angst, Aggression, Gewalt (Opfer/ Täter), Kriminalität
(vgl. Landesinitiative Jungenarbeit NRW)
Egal, ob sich die jungenspezifische Suchtprävention in einer „Jungen-AG“, in Projekten oder gar im Unterricht wiederfindet: Nicht die jeweiligen Methoden sind entscheidend für den Erfolg, sondern das Verständnis von Jungenarbeit als Beziehungsarbeit (in Kontakt gehen, Respekt und Wertschätzung zeigen, Modell sein etc.).
Methodische & organisatorische Wegweiser:
Erlebnisräume schaffen: Nach dem Motto „erst machen, dann reden“ gilt es, über gemeinsame handlungs- und körperorientierte Aktivitäten sich selbst und andere besser kennenzulernen.
Wenig Sprache & Schrift: Dies gilt insbesondere für die Arbeit mit sozial- und bildungsbenachteiligten Jungen. Setzen Sie z. B. auf Kooperations- und Interaktionsspiele, Foto-, Musik- oder Videoprojekte, auf Exkursionen zu Orten bzw. Zusammentreffen mit Menschen, die für die Jungen von besonderem Interesse sind. Auch ein Kochkurs oder gewisse sportliche Aktivitäten können interessante inhaltliche Impulse – etwa in Punkto Männlichkeit/ Rollenklischees – bieten.
Jungs bestimmen wo´s langgeht: … denn nur wenn das Thema die Jungen begeistert und mitreißt, werden sie zu einer intensiven Auseinandersetzung bereit sein.
Gruppenregeln & Rituale: Neben gewissen Verhaltensregeln können hier die Begrüßung in Form eines Schlachtrufes, ein Gruppenname (z. B. AG „Wilde Kerle“), ein Gruppenmotto oder T-Shirts Verbindlichkeiten und Zusammenhalt schaffen.
Externes Know-How nutzen: Jungenarbeit an der Schule zu etablieren ist ein spannendes Vorhaben. Eine Kooperation mit Einrichtungen der freien Jugend- bzw. Jungenarbeit kann sinnvolle Synergieeffekte mit sich bringen und Ressourcen einsparen/ bündeln.