„Meine Freundin Ana“ – oder: Die Verherrlichung von Essstörungen im Internet

Kann eine ernstzunehmende psychische Erkrankung, die im schlimmsten Fall tödlich endet, zur besten Freundin aufsteigen? Zu einer unverzichtbaren Alltagsbegleiterin, deren Anwesenheit ein erstrebenswertes Lebensgefühl mit sich bringt? Oh ja, sie kann …

Im Internet finden sich zahlreiche Websites, Foren, Blogs und Videoportale, auf oder in denen Betroffene ihre Magersucht oder Bulimie so definieren. Eine aktuelle Informationsbroschüre des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend hat uns dazu angeregt, Ihnen genauer vorzustellen, was hinter diesem Phänomen steckt und wie gefährlich es einzustufen ist.

 

„Erlaube mir, mich vorzustellen …“

„Mein Name, oder wie ich von sogenannten „Ärzten“ genannt werde, ist Anorexie. Mein vollständiger Name ist Anorexia nervosa, aber du kannst mich Ana nennen. Ich hoffe, wir werden gute Freunde.”

Eine vollständige Version von „Anas Brief“, findet sich auf vielen Pro-Ana- bzw. Pro-Mia-Websites. „Ana“ steht für Anorexia nervosa, während „Mia“ die verharmlosende Personifizierung von Bulimia nervosa (Ess-Brech-Sucht) ist. Betrieben werden die passwortgeschützten Seiten häufig von essgestörten Jugendlichen, die zwar wissen, dass ihr Verhalten nicht gesund ist, sich selbst aber nicht als krank empfinden. Vielmehr haben sie beschlossen, mit und für ihre Essstörung zu leben.

 

(Un-) Heimliche Freundin mit gefährlichem Lifestyle

Charakteristisch für Pro-Ana/-Mia ist neben einer mangelnden Therapieeinsicht „die Glorifizierung der Essstörung als anzustrebender Lebensstil und die Verharmlosung jeglicher Risiken. Die Inhalte der Webseiten animieren zum Ausprobieren und Nachahmen“ (BMFSFJ 2010, S. 7) und nehmen mit Glaubensbekenntnissen, Geboten und Psalmen nicht selten religiöse Züge an.Auf den ersten Blick erscheint die virtuelle Welt der Pro-Anas und Pro-Mias harmlos: Auf oftmals rosaroten und mit Herzen und Blumen verzierten Websites tummeln sich fliegende Elfen oder tanzende Ballerinas, die das Idealbild eines perfekten Körpers mit der damit verbundenen Leichtigkeit und Unantastbarkeit widerspiegeln. „Du sollst unsichtbar werden. Dafür musst Du dünner werden. Dünn zu sein ist wichtiger, als gesund zu sein.” – damit Anas Freundinnen die Einhaltung dieses Gebotes leichter fällt, werden sie durch Ess- und Gewichtstagebücher, Abnehm-Wettbewerbe, Diättipps oder Motivationsverträge unterstützt. Zusätzlichen Ansporn bietet die Rubrik „Thinspirations“, in der Fotos und Videos von superdünnen Frauen als Vorbilder präsentiert werden.

 

Wie groß ist das Gefährdungspotenzial tatsächlich?

Wenngleich der Austausch unter Betroffenen aus Selbsthilfeperspektive eigentlich mit dem positiven Effekt der emotionalen Unterstützung einhergehen kann, stufen Experten Pro-Ana/-Mia-Angebote als durchaus gefährlich ein. Die Gruppendynamik ist schließlich nicht auf das Besiegen des Teufelskreises, sondern auf das Festhalten an der Essstörung und das Abblocken jeglicher Hilfe ausgerichtet. (Bedenkliche Pro-Ana/-Mia-Seiten können an jugendschutz.net gemeldet werden.)

Entwarnung kann jedoch z. T. zumindest bezüglich einer möglichen „Ansteckungsgefahr“ gegeben werden: Bei Jugendlichen, die eine gesunde Einstellung zu ihrem Körper haben und sich bislang nicht kritisch mit ihrem Gewicht und Essverhalten auseinandersetzen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass diese durch Pro-Ana eine Essstörung entwickeln. Ganz anders kann es allerdings bei denjenigen aussehen, die in ihrem Selbstwert stark verunsichert sind und bereits erste Symptome einer Magersucht oder Bulimie zeigen. In diesem Fall können all die „Vorbilder“ und Tipps das Abgleiten in eine schwerwiegende Erkrankung begünstigen.

 

Wissen sensibilisiert – Unsere Tipps für Sie

Abschließend stellen Sie sich höchstwahrscheinlich als Lehrerin oder Lehrer die Frage, wie Sie das Wissen über die Pro-Ana/-Mia-Bewegung im Internet in der schulischen Prävention von Essstörungen einsetzen können bzw. sollen.

Es ist in jedem Fall gut, wenn Sie für die potenziellen Gefahren, die das Internet in Bezug auf die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Essstörungen birgt, sensibilisiert sind. Dies ermöglicht Ihnen, hellhörig (und evtl. aktiv) zu werden, sollten Sie einmal aufschnappen, dass eine Schülerin die verniedlichende Abkürzung „Ana“ oder „Mia“ verwendet.

Ob ein Aufgreifen der Thematik im Unterricht sinnvoll ist, muss sicherlich äußerst genau abgewogen und individuell nach Klassenzusammensetzung entschieden werden. Fest steht, dass eine „reißerische“ Aufklärung, welche die Neugier der Jugendlichen unnötig anfacht, vermieden werden sollte.

Denkbar wäre die Benennung von Pro-Ana/-Mia allerdings z. B. im Kontext einer kritischen Analyse der internetbasierten Hilfsangebote bei Essstörungen. Auf diesem Wege könnten Sie ein differenziertes Bild vermitteln, welches neben den Gefahren nicht außer Acht lässt, dass es mit Websites wie „Hungig-Online“ oder „magersucht.de“ auch qualitativ gute Angebote zur Überwindung von Bulimie & Co. gibt.


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